ZIAN: «Ich musste in dieser Branche meine Ausbildung und den Meistertitel innerhalb eines Jahres machen»

Interview mit ZIAN
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©Raphael Diethelm, zVg

Samstagabend in Langenthal, es ist der 11.11. Was bedeutet das?
Genau, es ist Fasnachtseröffnung! Die ganze Umgebung ist auf den Beinen, man findet keine Parkplätze, in den Strassen erklingt Guggenmusik, Kostümierte frönen ihrem Hobby. Und das Old Capitol in Langenthal ist mit 500 Personen sehr gut gefüllt. Dies weil ZIAN, ein passiv aktiver Basler Fasnächtler, hier am Abend sein Konzert spielt. Wir fragen ZIAN deshalb, ob dies ein Organisationsfehler war, dass er ausgerechnet am 11.11. ein Konzert spielt.

 

«Ich gehe immer noch sehr gern als Besucher an die Basler Fasnacht. Aber in Basel ist der 11.11. nicht so heilig. Wir zelebrieren vor allem die drei schönsten Tage, und an diesen bin ich dann auch garantiert dabei. Zudem habe ich auch schon an anderen besonderen Tagen, wie meinem eigenen Geburtstag oder an den Geburtstagen von Familienangehörigen, Konzerte gespielt.»

 

Pünktlich um 20.40 Uhr eröffnet die Band von ZIAN, die Bassistin Lia Low, der Gitarrist Elias von Arx sowie der Schlagzeuger Jwan Steiner, das Konzert. Die Stimme von ZIAN ist zu hören, aber am Mikrofonständer hängt nur der schwarze Hut von ihm, ein Markenzeichen des Sängers. Der Song «Betray The Loss» neigt sich bereits dem Ende zu, als ZIAN die Bühne betritt, den Hut vom Mikrofonständer nimmt und ihn aufsetzt. Auf diese Sekunde genau gehen die Lichter, mit einem Paukenschlag des Schlagzeugers, aus. Alles ist dunkel. Es scheint, als wäre Tizian mit dem Anziehen des Hutes, nun in die Rolle des ZIAN geschlüpft. Darauf angesprochen erzählt er:

 

«ZIAN ist ein Projekt und zugleich eine Rolle für mich. Ich lege alles ab, bevor ich die Bühne betrete. Denn als ZIAN will ich den Menschen etwas geben, ich will ihnen eine Geschichte erzählen und diese Geschichte soll sie berühren. ZIAN will die Menschen nicht verformen, sondern dass sie einen Sinn in ihrem Leben sehen. Und wenn ich auch nur für jemanden diese Rolle einnehme, damit es diesem Menschen gut geht, dann nehme ich diese Rolle gerne ein. Zudem möchte ich Tizian nicht mit allen teilen. Tizian hat auch keine spannenden Geschichten zu erzählen. Und sobald ich dann wieder arbeite, bin ich ZIAN. Und ZIAN arbeitet sehr viel. Da ist es gut, wenn ich auch wieder einmal Tizian sein kann.»

 

 

Multiinstrumentalist ZIAN spielt Gitarre, Keyboard und Trommel

 

 

Die Lichter gehen wieder an. Das Konzert dieser aussergewöhnlich talentierten vierköpfigen Band geht weiter und beeindruckt das durchmischte Publikum. Die Freude am Musizieren sowie am Erzählen von Geschichten, in Form der Songs, ist stark spürbar. Die Verbindung zum Publikum von der ersten Sekunde da. Die Musik erklingt mystisch und sehr kraftvoll. Was für eine tolle, ergreifende Stimmung, welche durch die schöne Lichtershow noch perfekt untermalt wird.

 

Der Multiinstrumentalist ZIAN sitzt mal am Keyboard, greift zur Gitarre oder zur Trommel. Das Spielen der Instrumente hat er sich selber beigebracht, Gesangsunterricht hatte er vielleicht 4 oder 5 Stunden, meint er zu uns im Interview. Wir finden, was für ein Ausnahme- und Naturtalent. Kein Wunder, dass ZIAN bereits mit seiner ersten Single «Show You» Platinstatus erreicht hat. Wie war dieser rasante Aufstieg für ihn?

 

«Der Start mit «Show You» war für mich nur purer Stress. Ich musste in dieser Branche meine Ausbildung und den Meistertitel innerhalb eines Jahres machen. Zum Zeitpunkt von «Show You» hatte ich auch noch einen Vollzeitjob und musste alles jonglieren und koordinieren. Wegen der Pandemie konnte ich vorerst nicht live performen, was mir viel Druck genommen hat. Denn, wenn ich auch noch Konzerte hätte spielen sollen, das wäre gar nicht mehr gegangen. Ich bin froh, dass mein Team nun gewachsen ist und ich dadurch vieles abgeben konnte.»

 

Fotos: ©Raphael Diethelm, mit freundlicher Genehmigung

 

Das Publikum im Old Capitol Langenthal erlebt an diesem Abend unbewusst einen besonderen Moment. ZIAN wird das erste Mal seinen Song «Wasteland» live performen. Er sei ein bisschen nervös, meinte er zum Publikum. Die BesucherInnen geniessen diese Premiere, ohne zu ahnen, was ZIAN uns vorher im Interview verraten hat.

 

«Es ist schade, dass der Song irgendwann zu einer Art Produkt wird. Durch das Schreiben und Singen, was für mich eine Art Therapie und Reflexion ist, kann ich die erlebte Emotion ablegen. Aber durch das ewige Wiedergeben der Songs, verlieren diese zwar nicht an Wert, aber ich stumpfe ab und erlebe die Emotion nicht mehr gleich intensiv.

 

Du kannst es dir ungefähr so vorstellen: Ich habe eine riesige Kartei, so quasi einen Apothekerschrank, mit jeder Emotion, die ich schon einmal erlebt habe. Wenn ich den Song auf der Bühne singe, versuche ich das passende Kästchen im Apothekerschrank zu öffnen. In diesem Moment befinde ich mich in einer Art Bubble – ich sehe und höre nichts. Sobald der Song fertig ist, nehme ich die Emotion, lege sie zurück in den Apothekerschrank und schliesse diesen wieder zu.

 

Heute Abend werde ich das erste Mal «Wasteland» spielen. Das heisst, ich werde die Emotion, die ich dann später in meinen Apothekerschrank ablege, extrem intensiv spüren. Der Wert wird dann auch 40x später noch im Song sein, aber ich selbst empfinde die Emotion aus dem Apothekerschrank dann als abgestumpft.»

 

Die Premiere ist geschafft und ZIAN erntet tosenden Applaus. Das Publikum ist begeistert. Eigentlich sollten die KonzertbesucherInnen heute Abend eine Auszeichnung erhalten. Egal wie ZIAN das Publikum miteinbezieht (singen, klatschen, tanzen, turnen), die BesucherInnen machen begeistert und motiviert mit.

 

Nun hat sich aber auch das Publikum eine Verschnaufpause verdient. Mit «Many Things» welcher jeweils exklusiv nur Live performt wird, wird der ruhigere Teil des Konzertes begonnen. Gefolgt von «Old Again». Diesen extrem traurigen, aber zugleich auch zutiefst berührenden Song, performt ZIAN ganz alleine auf der Bühne – nur er und das Keyboard. «Old Again» ist der erste Song, bei dem ZIAN die Geschichte von jemand anderem erzählt. Bei Lyrics wie «aber du hast den Abzug gedrückt und ich fühle, dass du weg bist» oder «ich habe mit dir meinen ältesten Freund verloren» erhalten die Zuhörenden einen Einblick in eine so unfassbar traurige, aber leider immer wiederkehrende Realität, die vielleicht auch schon den einen oder anderen von uns betroffen hat. Es ist beeindruckend, wie dieser 30jährige ZIAN allein mit seiner Stimme und dem Keyboard solch unglaubliche Emotionen und Gefühle transportieren kann.

 

 

ZIAN: Für mich sind Unterhaltungen mit den Menschen viel wertvoller, in denen sie mir sagen, was meine Musik mit ihnen macht. Die Geschichten dahinter geben mir viel.

 

 

Beim Song «Grateful» lässt uns ZIAN in seine Gefühlswelt blicken. Er dankt allen, die heute zum Konzert gekommen sind und erzählt, dass er sich jeweils im November / Dezember häufig fragt, ob er das Projekt ZIAN weiter machen wird und wie lange die Reise noch gehen wird. Gespannt horchen die Besuchenden. Ausser einer Frau. Diese ruft lautstark, dass er das Projekt bitte weiter machen soll. Die Anderen betonen mit ihrem darauffolgenden Beifall ihre Zustimmung. Und ZIAN? Er hat ein Lächeln im Gesicht – also hoffen wir, dass für uns alle dieses Projekt ZIAN noch lange weiter gehen wird.

 

«Viele leben für den Applaus. Der Applaus ist es etwas Wunderschönes und doch fülle ich damit weder meine Motivation noch meine Energiereserven auf, wie es andere Künstler tun. Für mich sind Unterhaltungen mit den Menschen viel wertvoller, in denen sie mir sagen, was meine Musik mit ihnen macht. Die Geschichten dahinter geben mir viel. Seit 2016 habe ich jeden November / Dezember die Frage in mir: warum mache ich das. Denn ich hatte kaum Zeit mehr für meine Freunde und Familie», unterstreicht ZIAN im Interview seine Gefühle.

 

Mit den Songs «Goes Up», «Demon Inside» und seinem Erstlingswerk «Show You» neigt sich das Konzert dem Ende zu. Nach dem letzten Song «Life Of Lies» ist dieser besondere Konzertabend musikalisch gesehen beendet. Für ZIAN und seine Band geht dieser bereits lange Tag noch in die Verlängerung. Sie nehmen sich für alle Besuchenden Zeit, auch wenn ihr «Arbeitstag» bereits über 12 Stunden lang ist. Geduldig werden Fotos gemacht, Autogramme geschrieben und Gespräche geführt.

 

Was für eine eindrückliche, talentierte Band, die in einer schnelllebigen und oftmals oberflächlichen Zeit Tiefgang und Nähe zelebriert.

 

Sandra Schneeberger / Fr, 17. Nov 2023